Die Berufsbildungsquote in der Schweiz ist in den letzten zehn Jahren merklich gesunken. Während früher ein Grossteil der Schulabgängerinnen und Schulabgänger eine berufliche Grundbildung (Lehre) wählte, entscheiden sich heute immer mehr für akademische Bildungswege oder alternative Lösungen wie ein Zwischenjahr. Dieser Bericht analysiert die Ursachen des Rückgangs, die vermeintlichen „Königswege“ der heutigen Jugendlichen, die Unterschiede in der Berufswahl zwischen Jungen und Mädchen sowie mögliche Massnahmen zur Stärkung der Berufsbildung.
Entwicklung der Berufsbildungsquote
Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) und Bildungsforschern ist die Zahl der Jugendlichen, die sich für eine Lehre entscheiden, rückläufig. 2015 lag der Anteil der 25-Jährigen mit einem Berufsbildungsabschluss (EFZ/EBA) bei rund 65,2 %, während 25,7 % einen allgemeinbildenden Abschluss (gymnasiale Maturität, Fachmittelschule) hatten. 2022 fiel die Quote der beruflichen Abschlüsse auf 60,7 %, während die akademische Ausbildung auf 29,4 % anstieg. Dies zeigt eine klare Verschiebung hin zu höheren Bildungsabschlüssen.
Ursachen des Rückgangs
- Zunehmende Akademisierung: Immer mehr Eltern und Jugendliche betrachten den gymnasialen Weg als Königsweg, wodurch die duale Ausbildung an Prestige verliert.
- Wirtschaftlicher Wandel: Der technologische Fortschritt führt zu höheren Qualifikationsanforderungen und verändert den Bedarf an Lehrberufen.
- Demografische Faktoren: Die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ist gesunken, was die Gesamtzahl potenzieller Lernender reduziert.
- Zunahme von Zwischenlösungen: Viele Jugendliche entscheiden sich für ein Gap Year oder Brückenangebote statt eine Ausbildung direkt nach der obligatorischen Schule zu beginnen.
Die „Königswege“ der heutigen Jugendlichen
Immer mehr junge Menschen setzen auf alternative Bildungswege:
- Gymnasium und Fachmittelschule: Insbesondere in städtischen Gebieten steigt die Maturitätsquote stetig.
- Zwischenjahre: Die Zahl der Jugendlichen, die ein Zwischenjahr einlegen, hat sich zwischen 2018 und 2024 fast verdreifacht.
- Berufsfachschulen: Immer mehr Schulabgängerinnen und Schulabgänger bevorzugen schulische Berufsausbildungen anstelle einer dualen Lehre.
Unterschiede in der Berufswahl zwischen Mädchen und Jungen
Die Berufswahl ist nach wie vor geschlechtsspezifisch geprägt:
- Jungen wählen häufiger technische Berufe (z. B. Informatik, Elektroinstallateur).
- Mädchen tendieren zu sozialen und kaufmännischen Berufen (z. B. Fachfrau Gesundheit, Kauffrau EFZ).
- Gymnasiale Ausbildung: Mädchen besuchen überproportional oft das Gymnasium oder die Fachmittelschule.
Massnahmen zur Attraktivitätssteigerung der Berufsbildung
Um die Berufsbildung wieder attraktiver zu machen, könnten folgende Massnahmen ergriffen werden:
- Image-Kampagnen: Bessere Aufklärung über die Vorteile der Lehre und erfolgreiche Karrieren von Lehrabsolventen.
- Erhalt der Durchlässigkeit: Die Berufsmaturität und der Zugang zu Fachhochschulen sollten stärker gefördert werden.
- Modernisierung der Lehrberufe: Neue Berufsfelder (z. B. im digitalen Bereich) müssen gestärkt werden.
- Geschlechterklischees abbauen: Programme für mehr Frauen in MINT-Berufen und Männer in sozialen Berufen.
- Stärkung der Betriebe: Unternehmen sollten ermutigt werden, Lehrstellen anzubieten und Nachwuchsförderung zu betreiben.
- Gymnasialquote steuern: Eine Feinsteuerung der Gymnasialzugangsbedingungen, um eine Balance zwischen Berufs- und akademischer Bildung zu gewährleisten.
Fazit
Die Berufsbildung in der Schweiz steht vor Herausforderungen, bleibt aber ein wichtiger Pfeiler des Bildungssystems. Um die Attraktivität zu erhöhen, braucht es gezielte Massnahmen zur Imageverbesserung, Anpassungen an den Arbeitsmarkt und eine bessere Aufklärung über Karrierewege. Nur so kann die Balance zwischen akademischer und beruflicher Bildung langfristig erhalten bleiben.
Quellenverzeichnis
- Bundesamt für Statistik (BFS), „Bildungsstatistik der Schweiz“, diverse Jahrgänge.
- Avenir Suisse, „Zukunft der Berufsbildung in der Schweiz“, 2023.
- Nahtstellenbarometer 2024, „Schulabgänger und ihre Bildungswahl“.
- Studien des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung (EHB).
- Schweizerischer Gewerbeverband (SGV), „Lehrstellenmarkt und Fachkräftemangel“.
- Diverse Zeitungsartikel aus NZZ, Tages-Anzeiger, etc.